Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+ (2017) im Test: Neuauflage der Power-Limousine (2024)

Power alleine macht eine Limousine noch nicht zur Power- Limousine, denn anders als ein Dragster muss sie auch kraftvoll ums Eck. Bei AMG war das lange Zeit nicht so. Früher. Darauf wollen sie nicht so gerne angesprochen werden, denn heute ist nicht mehr früher. Heute ist beispielsweise der E 63 S – eine echte Power-Limousine?

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Dino Eisele

Der Vorgänger war mit seinen 585 PS war hauptsächlich als Längsdynamik-Rakete bekannt. Das will der Neue besser machen und zusätzlich auch querdynamisch mit mehr als nur Driften überzeugen.

Wie die AMG-Version einer Power-Limousine zu sein hat, das erklärte uns erstmals anschaulich der aktuelle C 63. Der ließ die alte Dragster-Leier schon nach der ersten Kurbelwellenumdrehung abrupt verstummen. Rückblende: Er krallt sich beim Gasgeben in den Asphalt, statt wie bislang überfordert mit der Traktionskontrolle zu bremsen. Schmiegt sich den Bodenwellen an, statt sich von ihnen aushebeln zu lassen. Zieht in Kurven nach innen, statt nach außen abzuschweifen. So lautete unsere damalige Beschreibung – sie könnte nun so auch für den größeren Bruder gelten.

Wir fühlen uns im E 63 S sofort heimisch, schon beim ersten Warmlenken – sogar auf unbekannter Strecke. Die heiße E-Klasse nimmt Kurven schnell, aber nicht überstürzt. Forsch, aber nicht kühn, denn es fehlt ihr jede Form von Waghalsigkeit. Dass den Fahrer dennoch Ehrfurcht durchflutet, ist wohl die größte Respektsbekundung, die man einer Limousine aussprechen kann. Diese Hochachtung entspringt dem Kurventempo. Und sie lässt das Blut intensiv pulsieren.

Landstraße? Ja, bitte

Leidenschaft wurde der normalen E-Klasse bislang wohl kaum unterstellt. Überhaupt verführt die Reiselimousine weniger zu ekstatischen Bekundungen als zu stillen Lobpreisungen ihres Komforts. Und hoch schätzenden Ausführungen darüber, wie sehr sie ihren Fahrer selbst auf langen Strecken in Ruhe lässt. In etwa so, wie ein treuer Knappe seinem Herrn alle lästigen Routinen des Alltags abnimmt. Ohne darüber Aufhebens zu machen.

Das Topmodell E 63 S macht dagegen Aufhebens, und zwar nicht nur akustisch. Es involviert seinen Fahrer, bezieht ihn ein, regt ihn an, aber nie auf. Man kann auch beiläufig mit Tempomat und Richtgeschwindigkeit vor sich hin schnüren – dank der Luftfederung mit drei Kammern und der effektiven Spreizung der Federrate. Dann merkt man nur am herberen Abrollen, dass es sich um die forderndste E-Klasse handelt.

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Man kann aber auch in den Sport- oder gar Sport+-Modus wechseln – und am besten gleich in ein anderes Revier: auf die Landstraße. Jawohl, auf die Landstraße. Und hier meinen wir nicht autobahnähnlich ausgebaute Lkw-Highways, sondern unsere Lieblinge. Vielleicht nicht die ganz kleinen, denn immerhin ist der E 63 S ziemlich korpulent und braucht etwas Bewegungsfreiheit. Doch abgesehen von der nervigen Unübersichtlichkeit beim Einlenken in enge Ecken (wegen des riesigen Außenspiegels) wirkt das alles andere als sperrig. Selbst auf den serpentinigen Mosel-Sträßchen, die wir der Neugierde halber unter die breiten Puschen genommen haben.

Dank der verbindlich zupackenden Sportsitze mit optionaler Wangenverstellung steckt man mittendrin im großen Auto, das so gar kein Riese sein will, und dirigiert den schweren Wagen, der so gar nicht behäbig wirkt. Dicht dran am Hotspot der Fahrdynamik. Dass fast schon so eine Art Leichtfüßigkeit entsteht, liegt natürlich auch am Antrieb, zu dem wir später kommen. Die unverhoffte Agilität ist aber auch Folge der Elastokinematik.

An der Vorderachse führen neue Achsschenkel die Räder mit höheren Sturzwerten; die Gummis fläzen ihre Aufstandsfläche satter in die Kurve, was Untersteuern hinauszögert. An der Fünflenker-Hinterachse ist es ähnlich: Neue Längs- und Querlenker ermöglichen einen breiteren Stand, schieben die Räder weiter nach außen; das sorgt für die saugende Spurhaltung. Das typische AMG-Gefühl dagegen steuern die steiferen Lager bei. Sie stellen die Präzision sozusagen an den Fahrer durch – via Chassis und Lenkung. Antriebseinflüsse dagegen landen hier nicht.

Antriebseinflüsse? Ja – wir haben wohl noch gar nicht erwähnt, dass der E 63 serienmäßig als Allradler vom Band läuft. Merkt man auch nicht, zumindest nicht negativ, denn der AMG hat selbst unter Last im Grenzbereich nichts von der Halsstarrigkeit eines A 45 4Matic. Man merkt also, dass man nichts merkt. Stattdessen drängt der Große sanft, aber bestimmt mit dem Heck, wedelt sozusagen den Berg hinauf. Schön eng am Pfosten entlang, ohne Raum zu greifen. Auch bei Nässe glitscht da wenig, vor allem nicht vorn.

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Fünf Fahrmodi stellt der E 63 zur wahl. Im Racemode gibt es kein halten mehr.

Denn die elektromechanisch geregelte Lamellenkupplung hat ein Faible für die Hinterachse, präferiert sie bei der Drehmomentvergabe. Im Race-Set-up verliert sie dann jeglichen Sinn fürs Ausgleichende, sobald man ESP ab- und damit den Drift-Modus anschaltet (den hat übrigens nur der S). Die Logik der Neungang-Wandlerautomatik muss pausieren, man fordert die Gänge manuell per Wippen an und schickt das komplette Drehmoment ans Heck – bis Tempo 120, darüber übernimmt die Vorderachse nach und nach wieder.

Hier und jetzt, beim Einleiten des Drifts, ist die perfekte Stelle, um das Triebwerk zu würdigen, den Vier- liter-V8 mit – aufgemerkt! – 612PS. Mit der Gewichtigkeit eines riesigen Motors, der er gar nicht ist, schnalzt er aus dem Untergrund. Dass hier zwei Turbos die Illusion von Hubraum nähren, zeigt nur die leichte Verzögerung des Kraftausbruchs. Die Lader scrollen sich eilfertig auf Drehzahl und fluten paritätisch nach Ansaugkanälen getrennt die Brennräume. Erstmals kommen beim Vierliter die Twin-Scroll-Lader mit ihren getrennten Strömungskanälen zum Einsatz – sie verbessern die Gaswechsel und damit die Reaktionen aufs Gaspedal.

Und die Reaktionen aufs Gaspedal sind … heftig: Es reißt den schweren Wagen mit unverschämter Mühelosigkeit nach vorn. Dabei grollt er tief und voluminös mit amerikanischem Akzent, ohne die gesamte Umgebung herbeizukommandieren. In Zahlen ausgedrückt: 3,4 Sekunden von null auf Tempo hundert. Schmökern Sie doch einfach mal in den angehängten technischen Daten, wie es jenseits von 100km/h beim Beschleunigen weitergeht – möglicherweise werden Ihnen die Messwerte einen kühlen Schauer den Rücken hinunterjagen.

Volle Kraft nach hinten im Drift-Modus

Das Drehmoment schiebt das Heck im Drift-Modus übrigens ebenso unverschämt mühelos zur Seite. Weil die Twin-Scroll-Lader so diensteifrig auf Lastanforderungen reagieren, lässt sich ein Drift wunderbar modulieren und ausformen, verlängern oder eben abbrechen – ganz nach Wunsch und Fahrsituation. So ein Drift-Modus dürfte sogar Sportwagenpuristen mit dem Allradantrieb versöhnen.

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Wer will kann per Knopfdruck den Allradler zum Hecktriebler machen und ein paar Drifts ziehen.

Wie der E 63 S generell viel Versöhnendes an sich hat und Welten miteinander vereinigt, die früher als unvereinbar galten. Er bringt die Fahrleistungen eines Sportwagens in einen Zweitonner und den Komfort einer Reiselimousine in einen Kurvenschlotzer. Dazu kommt, dass er im Innenraum zwar AMG-isiert wurde – etwa mit einer G-Force-Anzeige oder einem integrierten Messsystem für Rundenzeiten und Fahrleistungen. Andererseits ist der High-Performer aber eine grundsolide E-Klasse mit Touchpads im Lenkrad, Smartphone-Integration sowie Widescreen-co*ckpit, wie man es auf gut Neudeutsch bezeichnet. Und natürlich mit einem imponierenden Arsenal an Unfallverhinderern bis hin zum Stauassistenten, an den sich der morgendliche Fahraufwand ins Büro teilweise delegieren lässt. Auch das erledigt der Power-Mercedes locker und leicht.

Luxuswagen können so etwas. Und dass der AMG genau so einer ist, merkt man vor allem an den Verbrauchswerten (im Schnitt 13,4 Liter Super Plus auf 100 Kilometer). Trotz Zylinderabschaltung und Segelfunktion wird einem schnell klar, dass eine Power-Limousine eben doch einer gravitätischen Massenträgheit unterliegt, die nur durch den Einsatz von Leistung überwunden werden kann. Ein 500 Kilogramm leichterer Sportwagen wäre da effizienter? Stimmt. Aber packen Sie den mal für die Urlaubsfahrt mit der Familie – da müssen Kinder und Kegel eben zu Hause bleiben. Im E 63 S können sie mit, es gäbe ihn zudem auch als Kombi. Spätestens dann wird er praktisch zum automobilen Universaltalent.

Um den E 63 S auf den Punkt zu bringen: Nagel. Hammer. Versenkt. Deshalb fünf Sterne.

Vor- und Nachteile

Karosserie

Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+

gutes Raumangebot vorn und hinten

großer Gepäckraum

solide Verarbeitung

hochwertige Materialien

vielfältig konfigurierbare Instrumente

Menüstruktur und Lenkradtasten umständlich

durch breiten Spiegel eingeschränkte Übersichtlichkeit

hohes Leergewicht

Fahrkomfort

komfortable Federung

gut stützende Sportsitze

passende Ergonomie

hartes Abrollen

Antrieb

Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+

enormer Vortrieb

gewaltiger Durchzug

hohes Drehvermögen

schnell und treffsicher schaltende Automatik

angenehmer V8-Sound

Fahreigenschaften

Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+

präzise Lenkung

stabiler Geradeauslauf

agiles Eigenlenkverhalten

gefestigte Traktion

Drift-Modus

ESP mit Sport-Funktion

Sicherheit

Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+

zahlreiche Assistenzsysteme und Airbags

standfeste und gut dosierbare Bremsen

Umwelt

Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+

akzeptabler Eco-Verbrauch

niedrige Emissionen nach NEFZ

hoher Testverbrauch

hohe Stand- und Fahrgeräusche

Kosten

Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+

voraussichtlich guter Wiederverkaufswert

Anschaffungspreis und Unterhaltskosten sehr hoch

Fazit

Der E 63 S ist eine hoch entwickelte Power-Limousine mit enormen Dynamikpotenzial – nicht nur geradeaus, sondern auch in Kurven (mit oder ohne Drift). Und sie bewältigt den Alltag ohne Aufhebens.

Technische Daten

Mercedes AMG E 63 S 4Matic+ Mercedes-AMG S
Grundpreis123.171 €
Außenmaße4923 x 1852 x 1474 mm
Kofferraumvolumen540 l
Hubraum / Motor3982 cm³ / 8-Zylinder
Leistung450 kW / 612 PS bei 5750 U/min
Höchstgeschwindigkeit300 km/h
0-100 km/h3,4 s
Verbrauch10,8 l/100 km
Testverbrauch13,4 l/100 km

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